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Gendern - ja oder nein

Genderneutralem Schreiben kommt eine immer größere Bedeutung zu - und ja, die (oft unsachliche und emotionale) Diskussion darüber wird auch nicht kleiner. Ich persönlich empfand das Thema auch lange Zeit als sehr schwierig. Dass Sternchen, Doppelpunkte und CO den Lesefluss hemmen, steht für mich fest.  Aber zum Glück sind wir Menschen Gewohnheitstiere. Die gesprochene Sprache ist für mich das beste Beispiel dafür, dass das auch auf Sprachfacetten zutrifft. Bei den ersten genderneutralen Formulierungen in Podcasts habe ich regelmäßig gestutzt. Jetzt ist es schon selbstverständlich geworden. Und das erhoffe ich mir auch von der geschriebenen Sprache. Denn: Dass genderneutrales Schreiben wichtig ist, steht für mich ebenfalls außer Frage.

 

Aber fangen wir vorne an - und zwar vor langer, langer Zeit als unsere Sprache entstand:

Hier hatten Männer das Sagen. Frauen fanden im öffentlichen Raum nicht statt. Die männliche Form war die Norm. Was ja auch völlig korrekt war, denn der Arzt war eben ein Mann. 

Heute gibt es Ärztinnen, Professorinnen und Pilotinnen. Trotzdem nutzen wir weiter das generische Maskulinum - männliche Personenbezeichnungen werden generisch, also verallgemeinernd verwendet.  Personen anderen Geschlechts sollen sich also mit angesprochen fühlen. "Das hat doch die letzten vielen hundert Jahre auch funktioniert, dass die Frauen "mitgemeint" waren!"

 

Naja.. mehr schlecht als recht, was einige Studien oder Experimente zeigen. Fordert man Grundschüler:innen dazu auf, Lehrer und Schüler zu malen, malen insbesondere die Jungen nur männliche Personen, die Mädchen bringen in der Mehrzahl auch immer weibliche Personen auf ihrem Bild unter.  Mädchen und Frauen sind es gewohnt,  "mitgemeint" zu sein - in ihren Köpfen entstehen Bilder von beiden Geschlechtern. Das Problem ist aber, dass in den Köpfen der Jungen fast ausschließlich Bilder von Männern entstehen. Es ist also in diesem Fall gar nicht, das "Mitgemeintsein" das Problem, sondern, dass in rund 50% der Köpfen das weibliche Geschlecht überhaupt nicht auftaucht, wenn sie nicht explizit genannt werden. Und das auch zu Recht - wenn ich das Maskulinum verwende, sollte ich auch die männliche Bezeichnung meinen. 

 

Weitere Studien zu Berufsbezeichnungen belegen, dass genderneutrale Berufsbezeichnung, Kinder und Jugendliche eher dazu anregen, Berufe, die typischen Geschlechterrollen entsprechen, für sich ins Auge zu fassen. Für die Schülerinnen wären es dann der Beruf der Pilotin, der Ingenieurin oder Professorin. Schüler können sich dann eher vorstellen Erzieher, Krankenpfleger oder Sprechstundenhelfer zu werden. 

 

Sprache formt Wirklichkeit 

 

Was die oben genannten Beispiele zeigen: Sprache formt Wirklichkeit, aber formt Wirklichkeit auch Sprache? Nur bedingt. Auch, wenn es seit viele Jahrzehnten (viel) mehr Lehrerinnen in Deutschland gibt, lösen Aussagen wie "Die Lehrer rannten über den Bahnsteig zum Ticketautomaten. In ihren Handtaschen kramten sie nach dem nötigen Kleingeld" noch immer ein Stutzen aus. Das zeigt: Von alleine wird sich die Sprache nicht anpassen.

 

Seit 2021 arbeitet der Duden daran, weiblichen Bezeichnungen eigene Einträge zu widmen. Die Ärztin ist dann nicht mehr nur die weibliche Form von Arzt, sondern eine Frau, die medizinische Tätigkeiten ausführt. In seiner Begründung gab der Duden an, dass durch das Gendern an manchen Stellen nun oft nicht mehr eindeutig sei, ob wirklich alle Geschlechter gemeint seien. Offizielle Gremien analysieren Querschnitte veröffentlichter Texte,  um Trends in der Sprache zu identifizieren. Je mehr also gegendert wird, desto eher, wird es empfohlen und desto eher trifft ein Gewöhnungseffekt ein.  

Damit Wirklichkeit endlich die Sprache formt - denn Sprache formt Wirklichkeit.